Neu erschienen: Kann man Leichte Sprache gendern?

Zwei neue Publikationen zur Barrierefreiheit gendersensibler Sprache

Dr. Kristina Bedijs hat sich Gedanken zu Möglichkeiten und Grenzen gendersensibler Sprache in der Leichten Sprache gemacht. Der wissenschaftliche Beitrag ist open access in der Online-Fachzeitschrift trans-kom erschienen. Für den schnellen Zugang zu den Argumenten und Erkenntnissen gibt es den Beitrag auch in unserem Format "In a Nutshell". Sie finden beide Dokumente am Ende der Seite zum Download.

Und darum geht es:

Leichte Sprache ist eine künstliche Varietät des Deutschen, die v.a. Rechts- und Behördentexte für Zielgruppen mit Verständnisschwierigkeiten zugänglicher machen soll. Dazu wird meist die sprachliche Komplexität reduziert: kurze Sätze, keine Fremdwörter und Sprachbilder usw. Auch gendersensible Sprache will mehr Inklusion erreichen, indem sie Geschlechtervielfalt sichtbar macht. Dadurch wird die Sprache allerdings oft komplexer. Ist es also unmöglich, in Leichter Sprache gendersensibel zu formulieren?

Vorab: Leichte Sprache ist ein Zusatzangebot. Der „schwierige“ Originaltext bleibt für Personen, die ihn verstehen können, erhalten. Gendersensible Sprache dagegen soll in jedem Kontext einsetzbar sein, nicht in Form optionaler „Übersetzungen“. Denn Menschen, die Leichte Sprache brauchen, leben in der gleichen vergeschlechtlichten Welt wie alle anderen. Für sie ist es mindestens genauso wichtig, dass Geschlecht in Texten präzise ausgedrückt wird. „Generisch intendiertes Maskulinum“ leistet diese Präzision nicht. 

Trotzdem lehnen Arbeiten zu barrierefreier Kommunikation „Gendern“ in Leichter Sprache aus Komplexitätsgründen bisher ab – obwohl es noch keine empirischen Studien darüber gibt, ob Gendern das Textverständnis der Leichte-Sprache-Zielgruppen wirklich beeinträchtigt. 

Zwei Sprachlenkungsansätze stehen einander entgegen, aber mit dem Ziel „Vereinfachung“ muss man das Ziel „Gendersensibilität“ nicht unbedingt komplett über Bord werfen. Kann man beide Kriterien ausbalancieren und ein komplexeres Optimum erreichen? Dazu nehmen wir die verschiedenen gendersensiblen Strategien unter die Lupe und prüfen, ob sie den Kriterien der Leichten Sprache entsprechen. Außerdem ist zu fragen, ob die Leichte-Sprache-Regeln bezüglich Gendersensibilität erweitert werden können.

Nicht geeignet sind alle Strategien, die 1. bei einem binären Geschlechtermodell bleiben (zB Paarform) und 2. nicht barrierefreie Graphien einsetzen (zB Trema-ï). Sie erschweren potenziell die Lesbarkeit und das Textverständnis für Menschen mit Verständnisschwierigkeiten. 

Auch ungeeignet sind kreative „Entgender“-Strategien (zB „das Lehry“ für „der Lehrer/die Lehrerin“). Solche müssten erlernt werden und sind nicht Teil der Standardsprache, was der Leichte-Sprache-Vorgabe widerspricht, dass beide Textversionen einander entsprechen müssen.

Geeignet sind neutrale Bezeichnungen (zB „Publikum“), die oft Teil des Basiswortschatzes sind, und neutralisierende Umformulierungen (zB durch Verbalphrasen). Umformuliert wird zur Komplexitätsreduktion sowieso. Beide Strategien also unproblematisch in Leichter Sprache.

Nun wird es spannend, wir kommen zu den diakritischen Genderzeichen: Sternchen, Gap, Doppelpunkt usw. Sie gelten als problematisch in Leichter Sprache, weil ihre Funktion und Bedeutung nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann. Keine Chance für Sternchen & Co.? Doch, denn auch die Menschen, die Leichte Sprache benötigen, können dazulernen. Auch Sonderzeichen wie € müssen sie erlernen, da sie im Alltag regelmäßig vorkommen. Man kann Genderzeichen, die im Text verwendet werden, einleitend kurz und einfach erklären. Solche „Disclaimer“ kennen wir beim Gendern schon, um die Anwendung des Maskulinums auf alle Geschlechter zu rechtfertigen. Einige Leichte-Sprache-Texte setzen so einen Disclaimer ein. Aber man kann ihn eben auch für „echte“, geschlechtsumfassende Genderstrategien nutzen.

Was ist bei Gendersensibilität in Leichter Sprache noch zu beachten?

– Der Mediopunkt • hat in der Leichten Sprache die Funktion der Segmentierung längerer Wörter in mehreren Einheiten. Ihn gleichzeitig als Genderzeichen einzusetzen, würde widersprüchliche Signale senden.

– Die Verbreitung und die Akzeptanz der gewählten Gender-Strategie in der Standardsprache und bei der spezifischen Zielgruppe sollten berücksichtigt werden.

– Es fehlen immer noch empirische Studien zur Verständlichkeit von gendersensiblen Strategien in Leichter Sprache.